Interview | Marcel Fengler
"Techno ist für Marcel Fengler kein Karrierismus, keine alternative Laufbahn und kein Mittel zum Zweck. Techno ist für ihn definierende und gelebte Leidenschaft. In seiner Welt vertragen sich Extreme. Ambient und Electronica bilden in den Sets von Marcel Fengler ein gleichberechtigtes Gerüst neben englischer Techno-Schule und dem, was Musikjournalisten als „Berghain-Sound“ längst zum geflügelten Wort geschrieben haben. Auch wenn dieser Sound von DJ zu DJ stark variiert und Fengler als Resident der ersten Berghain-Stunde wohl maßgeblich zu einem solchen Neologismus beigetragen hat, könnte seine Techno-Definition kaum selbstbewusster sein. Marcel Fengler versteht sein Handwerk. Seine Sets sind offensiv und dynamisch, hart und beständig, aber ebenso überraschend und emotional. Ohne in die Technotypische Mensch-Maschinen-Falle zu tappen, bleibt Fengler dahinter als Person spürbar. ..". So liest es sich in der Biografie von Marcel Fengler - Grund genug dem mystischen Band zwischen Berghain,Techno und Marcel Fengler auf den Zahn zu fühlen. Ein weiterer Grund ist sein Besuch am 25. Dezember im Lehmann. Genug Gründe also obwohl man für ein Interview mit Marcel Fengler eigentlich gar keine bräuchte…
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Hey Marcel! Du bist in der Nähe von Berlin aufgewachsen und seit den 90ern aktiv in der Berliner Szene als Gast und später als DJ aktiv. Fühlst du dich auch heute noch wohl in Berlin oder ist über die Jahre etwas verloren gegangen oder vielleicht durch die musikalische multikulturelle Vielfalt hinzugekommen?
Ich bin 50 km östlich von Berlin aufgewachsen und hab als Teenager viel Zeit in Berlin verbracht. Insofern ist Berlin auch einfach ein Stück Heimat für mich. Ich glaub das heutige Berlin mit dem früheren im Detail zu vergleichen, führt an der Stelle zu weit. Aber natürlich haben die zunehmenden metropolitanen Einflüsse auch Berlin verändert. Das merkt man bis in die Klubkultur hinein. Auf der anderen Seite gibt es bestimmte Freiheiten, die man im Vergleich zu anderen Städten nur hier in Berlin so konsequent ausleben kann. Dazu kommt, dass ich meinen gesamten Lebensmittelpunkt in Berlin organisiert habe. Insofern möchte ich momentan in keiner anderen Stadt leben.
Nervt dich manchmal dieser Berghain Hype? Oder ist es im Endeffekt eigentlich egal, weil dieser Hype nur außerhalb des Berghains existiert?
Wir alle sind sehr froh, dass wir mit dem, was wir machen über viele Jahre erfolgreich gewesen sind und hoffentlich noch lange sein werden. Ich bin aber grundsätzlich kein großer Fan von Hypes und entwickle mich ja auch selbst in eine eigene Richtung. Aber natürlich ist das Berghain dabei noch immer ein sehr wichtiger Impulsgeber für mich und viele andere auch.
Wie verhält es sich wenn du außerhalb Berlins auflegst? Ist es schon mal vorgekommen dass die Leute im Club mit einer völlig falschen Erwartungshaltung zu einem deiner Gigs gekommen sind, weil sie den „Mythos“ Berghain und Ostgut kennen aber sich nicht mit der Musik auseinandergesetzt haben? Wir hatten hier vor Jahren mal eine solche Situation mit Gaiser. Obwohl sein erstes Album zu der Zeit unglaublich minimalistisch war haben die Leute im Club gedacht er würde nach vorne spielen. Die Enttäuschung war dementsprechend bei vielen groß, aber nur weil sie sich nur mit dem Künstler als Produkt und nicht mit der Musik an sich auseinandergesetzt haben. Kennst du ähnliche Situationen und wie geht man damit als Gast DJ dann um?
Ich erlebe es häufig, wenn ich außerhalb Berlins spiele, dass Leute auf der Tanzfläche nach „Berghain Sound“ verlangen und düsteren Techno meinen. Das ist natürlich schon stilprägend, wird gesamtheitlich betrachtet, dem Sound des Clubs nicht ganz gerecht. Im Laufe eines Abends bekommt man im Berghain alle möglichen Fassetten von Techno zu hören. Auch in meinen Sets spiegelt sich das wieder. Je nachdem mir zur Verfügung stehenden Zeitfenster variiere ich gern zwischen vielen Genres und Moods und spiele da eher weniger programmatisch. Das hilft mit sehr, mich immer wieder aufs Neue auf verschiede Locations und Vibes einzustellen.
Wie schwer ist es heute für einen Act wie dich in Zeiten der stetigen Kommerzialisierung diese Leidenschaft zur Musik zu leben und zu praktizieren? Spürst du, dass die Räume für Künstler wie dich in letzter Zeit kleiner geworden sind?
Sicherlich schlagen solche Trends mittlerweile relativ weit durch. Aber glücklicherweise ist die Szene meiner Meinung nach immer noch genug divers, um sich gut entfalten zu können. Das Gefühl, da in einer Zwangsjacke zu stecken, habe ich überhaupt nicht und werde es hoffentlich auch nie kennenlernen.
Deine Wurzeln liegen eigentlich im HipHop, aber auch im elektronischen Bereich hast du immer sehr viel Respekt der älteren Generation an Künstlern gegenüber. Leider gibt es viele, die den älteren Generationen und Wegbereitern für die heutige Kultur wenig oder keinen Respekt gegenüberbringen. Schadet so etwas deiner Meinung nach auf Dauer einer Szene?
Ich habe Anfang der 90er Jahre angefangen, elektronische Musik für mich zu entdecken. Insofern sind inspirierende Künstler seit dieser Zeit natürlich auch Bestandteil meiner musikalischen Entwicklung und machen somit einen Teil meines Schaffens aus. Würde ich das nicht respektieren, könnte ich mich auch selbst nicht respektieren. Es gibt verdammt gutes Material, dass auch heute immer noch frisch klingt, obwohl es evtl. schon 15 Jahre alt ist (oder älter). Ob das immer für jeden nachvollziehbar ist, weiß ich nicht. Aber im Grunde geht es doch einfach um gute Musik.
Du setzt als DJ sowie als Produzent viel Leidenschaft in die Musik. Hast du manchmal das Gefühl im heutigen elektronischen Musikbusiness mit dieser Einstellung eigentlich das richtige zu tun, was aber von der Allgemeinheit als verkehrt angesehen wird weil du deinen Sound nicht von „Trends“ beeinflussen lässt? Oder lässt sich all dieses gehype wiederum gut ausblenden weil die Szene so expandiert ist und dadurch auch wieder neue Räume geschaffen wurden?
Ich glaube, man macht das, was man tut nur richtig gut, wenn man das mit der entsprechenden Portion Engagement und Leidenschaft macht. Da lasse ich mich auch durch keinen Trend der Welt verändern.
Was bedeutet es für dich Musik zu produzieren? Releases von dir kommen relativ unregelmäßig und mit größeren zeitlichen Abständen heraus. Lässt du dir bewusst so viel Zeit weil du keine Produktionen haben möchtest die in gewisser Art und Weise erzwungen sind weil man Release Termine einhalten muss?
Musik zu kreieren bedeutet für mich vor allem, meinen in diesem Moment erlebten Emotionen Ausdruck zu verleihen. In der Bewertung eigener Produktionen spielt dabei der Faktor Zeit für mich eine große Rolle. Insofern neige ich eher dazu, Tracks nach der Fertigstellung eine Weile unberührt zu lassen und nicht gleich alles sofort zu releasen, um sie dann noch einmal mit frischen Ohren zu hören.
Du hast in einem Interview mal von deiner Faszination des Themas „Zukunft“ gesprochen. Trifft dies auch für den Musikbereich zu? Oder bist in dieser Hinsicht der Meinung Analog statt Digital?
Natürlich bin ich immer neugierig auf neue Entwicklungen und verfolge zukünftige Trends auch im Musikbereich mit großem Interesse. Es darf halt nur nicht dazu führen, dass Technik Diversität einschränkt bzw. verwässert.
Du hast mittlerweile auch dein eigenes Label Index Marcel Fengler (IMF) gegründet. Was war für dich ausschlaggebend für diesen Schritt? Wolltest du damit den oben angesprochenen Druck von Labels entgehen? Und was möchtest du mit dem Label in Zukunft realisieren?
In erster Linie ging es für mich darum, eine eigene Plattform zu haben, auf der man indepentend arbeiten kann. In Verbindung mit dem Hauslabel des Berghains OstgutTon bietet mir diese Konstellation außerdem die Möglichkeit, meine Musik etwas strukturierter zu releasen. So wird es auch in Zukunft auf beiden Labels Technoproduktionen von mir geben, wenn auch die Sachen für OstgutTon etwas grooviger angelegt sein werden und auf meinem Label es eher etwas roher zugehen wird. Speziell auf IMF wird sich da im nächsten Jahr auf jeden Fall bedeutend mehr tun.
Wie stehst du eigentlich zu der ganzen GEMA Thematik die nun schon seit Monaten ohne Lösungsansatz im Raum steht?
Ich glaube, dazu ist in den letzten Monaten schon viel gesagt worden. Insofern liegen die Argumente für eine grundlegend nötige Reform der Reform auf der Hand. Ich hoffe sehr, dass sich vor allem im Interesse der Clubkultur in Deutschland diesbezüglich noch etwas tut.
Das Jahr ist nun fast rum. Bekommen wir von dir einen kurzen Jahresrückblick und einen kurzen Ausblick was nächstes Jahr so ansteht?
Rückblickend war das Jahr für mich soweit ein sehr Gutes. Ich habe endlich mein eigenes Studio ausbauen können und konnte als DJ viele tolle Eindrücke von ganz unterschiedlichen Flecken auf diesem Globus mitnehmen. Das war großartig! Zum Jahresende werden noch ein paar sehr interessante Events auf mich zukommen, bevor es dann ganz traditionell im Berghain verabschiedet wird. Auf der Produktionsebene konzentriere ich mich gerade auf mein Debutalbum, dass im nächsten Jahr auf OstgutTon erscheinen wird. Auf all das freue ich mich schon sehr.
Am 25.Dezember spielst du mit Ben Klock und Rebekah im Lehmann. Obwohl Stuttgart in Berlin alles andere als einen guten Ruf zu haben scheint bekommen ich von Künstlern, vor allem aus Berlin, immer ein unglaubliche positives Feedback zur Stadt und Szene. Wie ist dein Verhältnis zur Spätzlesnation?
Ich hatte schon eine Reihe ziemlich guter Gigs hier in Stuttgart. Der Letzte ist jetzt allerdings schon ein wenig her. Allerdings habe ich damals mein Sweetheart und jetzige Verlobte kennengelernt. Insofern verbindet mich mit Stuttgart irgendwie doch eine ganze Menge.
Letzte Grüße, Ankündigungen oder Statements?
Ich hoffe, ich sehe viele von euch dann am 25.12. im Lehmann. Freue mich auf eine wilde Weihnachtssession mit euch! Ansonsten schon mal vorab einen fleißigen Weihnachtsmann und lasst knacken .. ;)