INTERVIEW | BROILERS

Seit mehr als zwei Jahrzehnten touren die Broilers durch unsere Lande. Die Band aus Düsseldorf formierte sich 1992 um Sänger Samy Amara und Schlagzeuger Andi Brügge. Mittlerweile umfasst das Repertoire der Band eine höchst ansehnliche Anzahl an Songs. Gebündelt auf sechs Studioalben, mehr als zehn Singles, einem Live Album, einer Live DVD und, und, und. Konstant sind dabei drei Dinge geblieben: Die „Mach’s selbst“-Mentalität, musiktechnisch gibt es mal was auf die Mütze, mal muss genau zugehört werden und auf der Bühne geht es ab wie eh und je. Eine eindrucksvolle Demonstration könnt ihr beim Rock am See in Konstanz (04.September) erleben.


Ihr habt Ende letzten Jahres Euer 20jähriges Bühnenjubiläum mit zwei ausverkauften Konzerten gefeiert. Denkt man nach einer so langen Zeit bewusster über die Zukunft nach? Oder sagt ihr – wir machen so lange weiter bis wir nicht mehr stehen können oder keine Lust verspüren? Ist es für Euch manchmal schwer nach so einer langen Zeit noch Motivation und Power abzurufen?

Es gibt keinen Masterplan, wie lange wir das noch machen werden. So lange es uns Freude bereitet, ob in kleinen oder großen Läden, oder einfach nur im Proberaum, werden wir Musik machen. Die beiden Jubiläumskonzerte waren natürlich ein echtes Highlight. An solchen Abenden versucht man einfach nur, konzentriert zu bleiben und ansonsten genießt man das Ganze. Da machen wir uns auch nach der Show wenig Gedanken über die Zukunft, bzw. den Kater am nächsten Morgen. Die Frage nach der Motivation kommt oft. Natürlich hat jeder einzelne von uns auch mal einen schlechten Tag. Dann guckt man sich einfach die Leute in den ersten Reihen an und weiß ziemlich schnell wieder, warum man das alles macht. Um unmotiviert an die Sache heranzugehen, liegt uns allen aber die Musik zu sehr am Herzen. Es ist eher so, dass wir die Dinge teilweise zu ernst angehen, insbesondere in neuen Situationen. Da wirkt dann unser Gurkenwasser oder ein Sekt wahre Wunder.

Mit dem Album „Santa Muerte“ konntet ihr 2011, knapp 10 Jahre nach Band-Gründung, eine Top3 Platzierung in den Album Charts erreichen. Mit dem aktuellen Longplayer „Noir“ habt ihr es im letzten Jahr sogar an die Spitze der Album Charts geschafft. Ist der Sound der Band über die Jahre „massentauglicher“ geworden oder denkt ihr, dass es heutzutage grundsätzlich ein offeneres Musikverständnis in Deutschland gibt?
Ich denke schon, dass unser Sound heute mehr Leute anspricht, als noch vor ein paar Jahren. In den fast zwanzig Jahren bis „Santa Muerte“ ist viel passiert, wir sind älter geworden und unsere privaten musikalischen Vorlieben haben sich verändert und erweitert. Das hört man dann auch in der Entwicklung der Band. Das war aber ein natürlicher Prozess und kein Kalkül. Es gab auch nie einen wirklichen Bruch in der musikalischen Ausrichtung, was man relativ gut nachvollziehen kann, wenn man die Veröffentlichungen über die Jahre betrachtet. Natürlich klingen „Santa Muerte“ und insbesondere „Noir“ anders als beispielsweise die „LoFi“. Aber dazwischen liegen ebenfalls zehn Jahre und man sollte immer auch alle Alben über einen Zeitraum betrachten, alles im Gesamtkontext sehen. Wenn es in die einzelnen Bereiche der Musikszenen und Subkulturen geht, ist das Musikverständnis da heute genauso eng gefasst wie eh und je. Das kann man auch verstehen. Die Szenen definieren sich u.a. über eine bestimmte Musik und alles, was da nicht reinpasst ist per se erst ein mal schlecht. Das hören wir natürlich auch oft. Diese Vorwürfe kommen aber hauptsächlich von sehr jungen Leuten, die teilweise aus Altersgründen unsere ersten Schritte gar nicht bewusst miterleben konnten und sich nun über den Backkatalog reinhören. Wir waren aber im Teenager-Alter genauso restriktiv, daher kann man das den Leuten auch nicht vorwerfen. Wird man älter und macht neue, eigene Erfahrungen, erweitert sich i.d.R. auch der musikalische Horizont und die Akzeptanz steigt. Man wird einfach offener für andere Einflüsse und hört als Punker plötzlich auch mal eine Hip-Hop Platte. Letzten Endes beschränkt man sich durch solch fiktive Szenegrenzen immer auch in seinem eigenen Schaffen. Legt man das ab, bieten sich einem plötzlich viel mehr Möglichkeiten. Wir hören oft, dass wir uns dem Mainstream angebiedert hätten und bewusst massentaugliche Songs schreiben. Eigentlich ist es eher andersherum. Da fragt man sich schon des Öfteren, ob man dieses oder jenes wirklich machen kann, auch wenn es für einen selbst gut klingt. Legt man diese Selbstzensur ab, ist man frei und kann letzten Endes machen, was man will. Das ist natürlich auch ein Risiko, tut aber eigentlich jeder Band gut, insbesondere jenen, die krampfhaft an alten Zöpfen festhalten, auch wenn sie das eigentlich gar nicht wollen.

Hat der Erfolg für Euch auch Schattenseiten mit sich gebracht? Musstet ihr Euch auf einmal mit Identitätsproblemen und den manchmal komischen Eigenheiten des Musikbusiness auseinandersetzen?
Ein echtes Identitätsproblem gab es von Seiten der Band eigentlich zu keiner Zeit, auch wenn versucht wird, uns das von außen hin und wieder anzudichten oder einzureden. Wir sind uns und unserer Sache treu geblieben und stehen zu einhundert Prozent hinter dem was wir waren und sind. Neu war für uns allerdings die „Business“-Seite, als sich langsam ein erster Erfolg abzeichnete und wir anfangen konnten, von der Musik zu leben. Wenn man das einstige Hobby tatsächlich irgendwann zum Beruf machen kann, wird man plötzlich gezwungen, sich mit Aspekten auseinander zu setzen, die einem bis dato weitestgehend fremd waren. Auf einmal beschäftigt man Leute und auch die eigene Existenz und Zukunft spielt eine Rolle. Mittlerweile haben wir alle eigene Familien und da lebt es sich nicht mehr nur „von der Hand in den Mund“, wie es früher eher der Fall war. Mit dem Erfolg kam also durchaus auch eine gewisse Verantwortung und Strukturierung.

Mit den letzten beiden Alben habt ihr die Messlatte ziemlich hoch gelegt, bzw. der Erfolg von „Noir“ hat diese imaginäre Messlatte in vielen Köpfen gesetzt. Macht ihr Euch über so etwas überhaupt Gedanken und denkt schon an neue Tracks oder verspürt ihr keinerlei Druck in naher Zukunft nachlegen zu müssen?
Es ist weniger der Einfluss von außen, als der innere Druck, den man sich selber aufbaut. Es geht wohl jedem so, dass man gerne an bereits erlangte Erfolge anknüpfen möchte, aber erzwingen kann man das nicht. Natürlich redet man darüber und je näher das Release einer neuen Veröffentlichung rückt, desto nervöser wird man und hinterfragt dieses und jenes. Alles in allem versuchen wir aber dennoch, mit klarem Kopf und möglichst frei an neue Ideen zu gehen, was uns bislang auch immer ganz gut geglückt ist. Wir lassen uns treiben und versuchen weniger geplant etwas konstruiert erfolgreiches zu produzieren. Zum einen gelingt das in den wenigsten Fällen, zu anderen hemmt es auch die eigene Kreativität. Das ist auch der Grund, warum Musik teilweise so austauschbar geworden ist. Da werden erfahrungsgemäß erfolgreiche Konzepte immer und immer wieder aufs Neue vermarktet und ein Album klingt wie das andere. Aus dem selben Grund gibt es im Privatfernsehen nach einem erfolgreichen Format immer auch fünf bis zehn Ableger, bis es einfach keiner mehr sehen oder ertragen will und kann.

Gerade was kommerziellere oder auch elektronische Musik (siehe Beatport usw.) angeht hat sich durch die Digitalisierung und das Internet in den letzten 10 Jahren unglaublich viel verändert. Hat sich der einfache Zugang zu Musik auch bei Euch bemerkbar gemacht? Oder spielt das in eurem, zum Teil Trendresistenten, Musik-Kosmos keine tragende Rolle?
Wir hatten das Glück oder Pech, je nachdem, wie man es sehen möchte, kommerziellen Erfolg erst in einer Zeit zu erreichen, in dem diese Art Zugang und Konsum von Musik bereits als sehr normal zu bezeichnen war. Uns war also von Anfang an bewusst, dass neben den klassisch physischen Tonträgern wie Vinyl oder der CD auch digitale Inhalte wichtig sind. Daher versuchen wir ständig einen echten Mehrwert in Form von ordentlichen Booklets, Beigaben und hochwertigen Aufmachungen zu bieten, um die physische von der digitalen Form deutlich abzuheben und auch aufzuwerten. Neu sind die in den letzten Jahren hinzugekommenen Streaming-Anbieter. Hier merkt man schon, dass sich das Konsumverhalten in Richtung mieten statt kaufen verschiebt. Lieber alles zu jeder Zeit verfügbar haben (so lange man brav bezahlt), als selektiv und dadurch bewusst Musik zu erwerben. Das ist leider der Trend und durchaus schade. Denn dadurch wird Musik in jedweder Form abgewertet. Sie verkommt zur Berieselungs- und Hintergrundunterhaltung. Es ist den Leuten heute wichtiger potentiell Zugriff auf alles zu haben, als sich mit wenigen ausgewählten Veröffentlichungen auseinanderzusetzen, für die man sich ganz klar entschieden hat. Quantität statt Qualität. Ich habe das vor einiger Zeit selber ausprobiert und ein Abo bei einem Anbieter abgeschlossen. Ich merkte dann ziemlich schnell, dass ich mehr und mehr wahllos und völlig unreflektiert anfing, Musik in meinem Alltag zu hören. Das hat mich dann nach drei Monaten so sehr geärgert, dass ich wieder zurück zu klassischen Tonträgern und dem Kauf von CDs und LPs zurückgekehrt bin. Man merkt mitunter gar nicht, wie schleichend dieser Prozess einsetzt. In einem Internetforum las ich neulich den Satz „Es kommen jeden Monat so viele neue Sachen auf den Markt, wie soll ich mir das denn alles leisten?“. Da wird schon deutlich, dass es hauptsächlich darum geht, die Masse an Musik verfügbar zu haben, als sich bewusst auf ein bis zwei Neuerscheinungen einzulassen und auszuwählen. Interessanter Weise ist es aber auch so, dass sobald man aufhört die monatliche Gebühr zu zahlen, einem nichts davon bleibt. Das ist den Konsumenten aber offensichtlich relativ egal und daran merkt man schon, welchen Stellenwert Musik für viele, gerade junge Leute, heute hat. Die Vergütung der jeweiligen Künstler durch die Streaming-Anbieter ist natürlich ebenfalls ein Witz, aber viel schlimmer ist die generelle, auch gesellschaftliche, Abwertung von Musik durch diese Denkweise.

Vermisst ihr manchmal die völlig aus dem Ruder laufenden „Jugendhaus-Gigs“ von früher bei denen alles noch mehr oder weniger Semi-Professionell war? Oder seid ihr nach 20 Jahren auf der Bühne eigentlich ganz froh dass ihr Euch mittlerweile ein solches Standing erarbeitet habt? Schließlich wird man selbst ja auch nicht jünger oder?
Wenn man sich teilweise anschaut, was hinter, auf und neben der Bühne so passiert, können wir schon behaupten, dass wir uns eine gewisse Semi-Professionalität erhalten haben. Da läuft auch nicht immer alles Rund und es herrscht Chaos. Das fällt dem Publikum i.d.R. allerdings nicht wirklich auf. Und auch die kleinen Shows haben wir nie wirklich zu den Akten gelegt. Wir haben beispielsweise zu „Santa Muerte“ Zeiten noch vor knapp einhundert Leuten im Tube in Düsseldorf gespielt, einem kleinen Club, den wir sehr schätzen. Auch die Wohnzimmerkonzerte oder kleinen Warm-Up Shows vor den großen Festivals sind immer eine schöne Abwechslung. Generell werden wir uns immer offen halten, auch mal kleine Shows zu spielen. Das macht einfach viel zu viel Spaß, als das wir es einfach aufgeben könnten. Was wir sicher nicht vermissen, ist die Reiserei im eigenen PKW und das Übernachten auf Fussböden.

Wenn ihr im Musikbusiness grundsätzlich etwas ändern könntet – welche Maßnahmen würdet ihr sofort umsetzen?
Das „Business“ hat natürlich viele Facetten, aber was ich wirklich vermisse, sind mehr Sendeplätze für alternative Musik, gerade im öffentlich rechtlichen Rundfunk. Hier sollten Möglichkeiten geschaffen werden, auch einem szenefremden Publikum neue Musikstile zu vermitteln. Teilweise gibt es solche Formate, aber die laufen dann spät Abends oder Nachts. Tagsüber hört man oft nur Einheitsbrei und fünfzig mal den selben Song einer Band in Rotation. Das führt dazu, dass gerade die wirklichen Musikliebhaber nur noch selten das Radio einschalten und ist sicher auch ein Grund für die boomenden Streaming-Anbieter, die solche „Radiokanäle“ anbieten und den Nutzern so neue Musik aus allen Stilrichtungen präsentieren.

Ihr spielt in diesem Jahr auf zahlreichen Festivals wie Rock am Ring, Rock im Park oder Anfang September beim Rock am See in Konstanz mit Acts wie Kings of Leon oder Mando Diao. Habt ihr Euch mittlerweile an die Global Player der Rock-Festivals gewöhnt oder sind die Auftritte vor so vielen Menschen und mit solchen Acts nach wie vor schwer zu begreifen?
Wir können uns noch gut an unseren ersten Auftritt bei Rock am Ring erinnern. Das war schon der Wahnsinn, plötzlich auf diesem Plakat aufzutauchen, wenn auch nur als kleiner Name von vielen. Dann hatten wir noch das Glück, relativ spät auf einer der Nebenbühnen zu spielen und es waren echt noch verdammt viele Menschen auf dem Gelände unterwegs. Das war schon ein Gänsehaut-Moment. Generell sind wir aber nicht von heute auf morgen ins kalte Wasser geschmissen worden, was die Publikumszahlen angeht. Das ist sehr langsam immer weiter gewachsen und so war der Bruch von „ganz klein“ zu „ganz groß“ nicht ganz so schlimm.

Wie läuft das bei so großen Festivals ab, kommt da auch mal ein Headliner-Act spontan auf Euch zu und outet sich als Broilers Fan? Habt ihr vielleicht die ein oder andere spaßige Festival-Anekdote für uns?
Über die Jahre haben wir schon den ein oder anderen Kontakt geknüpft und auch die ein oder andere Freundschaft ist dabei herum gekommen. Das kann aber mitunter auch recht gefährlich werden, wenn man sich über das Jahr so gut wie nicht gesehen hat und dann plötzlich im Sommer in bester Trinkerlaune auf einem Festival wieder über den Weg läuft. Da soll es schon den ein oder anderen Kopfschmerz am nächsten Tag gegeben haben. Gar nicht schön, wenn dann noch eine Show ansteht. Ansonsten gilt: What happens at a festival stays at the festival.

Ihr seid ja quasi seit einem Jahr nonstop auf Tour. Was steht nach der Festival-Saison bei Euch an?
Wir werden das Jahr 2015 und auch die „Noir“ Festival Saison mit einem Konzert in der Esprit Arena in Düsseldorf beschließen, wo wir bei „Rock im Sektor“ an den Start gehen. Das Schönste neben der Tatsache, dass wir das Finale in unserer Heimatstadt abhalten, ist daran, dass wir quasi von der Bühne in unseren Jahresurlaub stolpern und uns dann erstmal etwas Entspannung gönnen werden, bevor es im Oktober wieder in den Proberaum geht. Im Anschluss werden wir auf unbestimmte Zeit eine Live-Pause einlegen und uns intensiv dem Songwriting widmen.

Zu guter Letzt – wollt ihr noch Grüße, Ankündigungen oder eine kleine Vorschau auf Euren Gig am 04. September beim Rock am See geben?
Wir freuen uns sehr, zum Bodensee zurückkehren zu dürfen. Vor zwei Jahren konnten wir bereits schon einmal bei Rock am See auf der Bühne stehen und es war ein schöner, warmer, sonniger Tag  mit Weisweinschorle, guten Freunden und einem spitzen Publikum. Es wird für einige Zeit das vorerst letzte Konzert außerhalb unserer Heimatstadt sein und daher freuen wir uns ganz besonders unser „Auswärts-Finale“ bei Rock am See feiern zu können.

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Christian Schmidt