Sven Schaller über Kommerz, Techno und Abstract

Koblenz Calling
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Mit abstract Bookings und Records gründete Sven Schaller vor über zwölf Jahren eine der erfolgreichsten Techno-Institutionen Europas. Doch Stillstand kommt für Koblenzer nicht in Frage. Nach seinem 2013 auf Abstract Records erschienenen Debutalbum „Outside World“ folgt knapp zwei Jahre später sein neues Album „BLCKLSTD“ auf seinem neuen Imprint Nonlinear Systems. Warum? Das kann Euch Sven Schaller selbst erzählen…

Hey Sven! Gerade ist dein zweites Album BLCKLSTD erschienen. Techno, der mit seiner rauen, industriellen und melancholischen Stimmung voll am "Puls der Zeit" ist. Und auch in der Presseinfo heißt es: "BLCKLSTD is a vision of the dusky sound, Sven Schaller feels these days.". Kann man bei deinem neuen Album von einem geplanten Konzept-Album sprechen oder was war ausschlaggebend?
Nein, das hat sich so ergeben. Das Album ist jetzt über einen Zeitraum von über einem Jahr entstanden. Es hat eine gewisse Grundstimmung, die meinem aktuellen Sound entspricht, aber hat dennoch eine Bandbreite. Mich fesselt aktuell diese dunkle, rohe aber melancholische Art von Techno.

Mit Perc und Rebekah haben zwei der momentan angesagtesten UK Techno Acts jeweils einen Remix für dein Album beigesteuert. Hast du diese beiden Acts gezielt für Remixe angefragt oder war die Platzierung auf dem Album ursprünglich nicht geplant?
Das war absolut geplant. UK Techno ist unglaublich gut. Für mich stehen aktuell besonders diese Beiden für den neuen UK-Sound. Es gibt noch viele andere zu nennen, aber Rebekah und Perc sind aktuell mit unter meinen absoluten Lieblingsproduzenten. Perc mit seinem industriellen, roughen Sound und Rebekah mit dem Gespür für die Mischung aus rohen Sounds und detailreichen Klängen waren für mich perfekt um das Album zu komplettieren.

Das Album ist nicht auf Abstract erschienen, sondern auf deinem neuen Imprint Nonlinear Systems. Hattest du Sorge, dass man "BLCKLSTD" nicht so unvoreingenommen wahrnehmen würde, wenn du es auf Abstract veröffentlicht hättest? Oder hatte dies ausschließlich musikalische Gründe?
Nein, es hat rein musikalische Gründe. Abstract ist auch ganz klar Techno. Nonlinear Systems geht einen Schritt in eine andere Richtung. Es ist roher und industrieller. Ich mag keine Schubladen, deshalb ist es schwer das in Worte zu fassen, aber man muss sich einfach die Releases anhören. Ich denke da ist ein klarer Unterschied hörbar.



Wie kann man sich deine Arbeit im Studio, vor allem wenn du an einem Album sitzt, vorstellen? Und mit welchem technischen Equipment arbeitest du?
Ich arbeite zusammen mit meinem Produktionspartner Linus Quick. Hauptsächlich mit Ableton, aber auch Reason oder mit der Maschine. Der Prozess ist sehr unterschiedlich. Manchmal hat man nur eine Drum, die einen fasziniert. Manchmal ist es ein Synth, den man einspielt. Es muss einfach fließen. Wir schicken uns auch viele Sachen hin und her, weil wir es zeitlich gar nicht immer schaffen zusammenzusitzen. Da gibt es Tage, an denen fällt einem nichts ein oder man löscht einfach alles.

Vor einigen Jahren lag der Fokus bei den Veröffentlichungen in der elektronischen Musik noch klar auf 12inch und EP. Mittlerweile ist es völlig normal, dass viele Artists ganze Longplayer veröffentlichen. Liegt dieser Wandel vor allem an der Digitalisierung der Musikbranche oder welche Gründe gibt es deiner Meinung nach?
Das hat schon damit zu tun. Jeden Tag kommen so viele neue Release raus, da geht extrem viel verloren. Eine Platte hatte früher eine deutlich längere Aufmerksamkeitspanne. Das ist heute nur noch in absoluten Ausnamefällen so. Die Qualitätssicherung war durch Vinyl auch deutlich höher. Da musste man echtes Geld in die Hand nehmen um etwas pressen zu lassen. Heute schiebt man einfach alles hoch.

Mit Abstract und Nonlinear Systems hast du bereits zwei Labels gegründet. Abstract hat sich in kürzester Zeit zu einer Art globalen Techno-Imperium entwickelt. Welchen Weg möchtest du mit deinem neuen Label Nonlinear Systems einschlagen?
Da gibt es keinen Masterplan. Es müssen auch nicht zehn Release im Jahr sein. Wenn es gut genug ist, dann machen wir es. Ich will Musik releasen, die ich spiele und gut finde. Das können Leute sein wie Chris Colburn, Wirrwarr, Black Asteroid, Christian Gerlach, L.A.W. um ein paar zu nennen.

Hat dich der durchschlagende Erfolg mit deiner Abstract Familie selbst ein wenig überrascht? Was sind deiner Meinung nach die Gründe, warum Abstract Bookings und Records so durch die Decke gingen?
Überrascht nicht. Wenn wir nicht daran glauben würden, wer dann? Erfolg ist sehr subjektiv. Wir sehen unglaublich viele Dinge, die wir erreichen wollen und wo wir weiterkommen wollen. Wir arbeiten kontinuierlich daran und werden sehen, wo es hingeht. Warum es aktuell gut läuft liegt einfach an unseren Fans. Mit ihnen zusammen feiern wir die Partys, die es am Ende ausmachen.



Mit Abstract musstest du am eigenen Leib erfahren, dass heutzutage auch innerhalb einer Szene unglaublich polarisiert wird, anstatt sich gegenseitig zu supporten. Techno kämpft heute mit seinen zahlreich autarken Sub-Genres mehr gegeneinander als es sich gegenseitig unterstützt. Hat dich das Gerede über Abstract getroffen und verwundert?
Welches Gerede gab es denn? Ehrlich gesagt, interessiert es uns überhaupt nicht, was über uns gesprochen wird. Es interessiert auch nicht was über andere Gesagt wird. Wir konzentrieren uns auf unsere Musik und unser Tun. Es geht darum, Musik zu machen und mit den Leuten eine gute Zeit zu haben. Wenn man sich zu viele Gedanken macht, bremst es einen nur aus und kostet Zeit, die man besser investieren kann. Wenn wir uns die Partys anschauen, haben wir doch alles richtig gemacht.

Wie würdest du den aktuellen Stand der Techno-Szene in Deutschland beschreiben? Ich habe momentan das Gefühl, dass gerade in Deutschland der Sound einen unglaublichen Zulauf von jungen Leuten erfährt. Es scheint so, als ob Techno nach circa 20 Jahren wieder salonfähig wird. Eine positive Entwicklung?
Definitiv. Wir sehen auch viele Junge Leute auf unseren Partys, was uns sehr glücklich macht. Ich weiß noch als ich mit 16/17 Jahren angefangen hab wegzugehen.



Du bist auch für iMotion (Nature One, Mayday u.a.) tätig, die mittlerweile, wie auch Beatport, zum US-Konzern SFX Entertainment gehört. Auf einmal ging die Angst um, dass Techno ausgeschlachtet und kommerzialisiert wird. Kannst du diese Ängste verstehen oder sind diese Sorgen in deinen Augen unbegründet?
Überhaupt nicht. Da wurde viel hochgeschaukelt ohne wirklich Informationen zu verbreiten. Das ist doch eine Riesenchance für Techno. Kommerziell ist doch alles, was verkauft wird. Auch „Underground Techno“. Sonst müssten alle Partys und Tracks umsonst sein.

Meiner Meinung nach kann man sich alles kaufen, nur keine Szene. Daher habe ich persönlich eigentlich keine Bedenken, dass sich etwas ändern wird. Ein Teil der Musik und Künstler wird mit Sicherheit Pop-Status erreichen, aber deswegen wird sich in der Club- und Techno-Szene ja nichts grundlegend verändern. Angefangen hat dieser Kommerzialisierung, vor der jetzt gewarnt wird, bereits mit Lützenkirchens "3 Tage wach" oder Wankelmuts "One Day". Doch die Angst vor dem Sellout des Techno wird immer wieder heraufbeschwört. Wie siehst du das?
Es war in den letzten 20 Jahren auch nicht viel anders. Der Hype in Amerika bringt da momentan etwas Unruhe rein. Sonst war es in einer abgeschwächten Form Ibiza. In drei Jahren ist Techno das Ding in den USA. Popstars gibt es auch schon seit Jahren. Was war denn mit Sven Väth und Off? Ist Sven jetzt deshalb Kommerz oder was? Nein. Es wird immer mal „Popstars“ geben. Die kommen und gehen aber auch. Leute wie Sven z.B. die die Szene so stark vorangetrieben haben, bleiben.

Früher waren Veranstalter, Booker, DJs oder Produzenten eine von Mystik umgebene Spezies. Heutzutage ist jeder zweite in der Szene Veranstalter, DJ oder Blogger. Macht es dieser Umstand für euch als Agentur auch schwerer, zum Beispiel was die Professionalität von Veranstaltern oder Bookern angeht?
Das merkt man in der ersten E-Mail. Daran kann man zu 98% schon sagen, was für ein Promoter das ist. Im Zweifelsfall reicht dann ein Telefonat. Jeden Morgen steht jemand auf und denkt: „Ich mach eine Party!“ Aber es geht auch jeden Abend jemand zu Bett und denkt: „Hätte ich das besser mal gelassen“.

Kommen wir zur Musik zurück. Dein Album ist fertig - Zeit, um wieder auf zahlreichen anderen Labels zu veröffentlichen, oder? Kannst du uns schon einen kleinen Ausblick auf 2015 geben?
Es wird definitiv weniger werden. Ich habe im Augenblick ein paar neue Tracks fertig. Aber die Sachen zeige ich nur wenigen Leuten. Wenn es passt und die richtigen Labels Lust haben, dann machen wir was. Ansonsten nicht. Dann mache ich lieber wieder ein Album.

Als DJ und mit der Abstract Familie bist du auf zahlreichen Festivals und Clubs rund um den Globus unterwegs. Wo wird Techno im Moment besonders gefeiert und gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern?
Das ist nicht nur in den Ländern unterschiedlich. Auch in Deutschland. Ob Norden, Osten, Süden, Westen. Alles hat seine Eigenheiten und ich bin sehr dankbar, dass ich diese Vielfalt sehen darf. Egal wo man hinkommt, trifft man Freunde und Bekannte, die man sonst nicht immer sehen kann.

Was würdest du dir für die Zukunft wünschen?
Mehr Aufmerksamkeit von uns, für uns. Ich spreche nicht von der Musik, sondern davon, was wir uns selbst und unserer Welt antun. Kriege, Terror, Massentierhaltung, Umweltverschmutzung. Das darf so nicht weitergehen. Wir sind dafür verantwortlich. Wir müssen das vernünftig betrachten und uns selbst reflektieren.

Da wir jetzt umfassend über dich Bescheid wissen - wann bist du mal wieder im Süden zu Gast?
Ich habe mir fest vorgenommen in 2015 jeden Monat ein freies Wochenende einzuhalten. Für Sport, Freunde, Familie etc. Aber z.B. am 14.03. bin ich beim Sun & Moon Festival in Rottweil. Sehr geile Location. Top Veranstalter, viele Freunde  und ein richtig gutes Line Up. Am 18.04. im Level 6 in Darmstadt. Quasi meine Heimatstadt, in der ich letztes Jahr zum ersten Mal gespielt habe. Ich war so extrem positiv überrascht, dass der Veranstalter sagte, ich muss definitiv öfter vorbeikommen.

Zu Guter Letzt, möchtest du noch Grüße, Ankündigungen oder ein Statement loswerden?
Grüße an alle, die mit uns den Weg gehen.




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Christian Schmidt